Larousa, hast du einen Moment Zeit für mich?
Smirno steht in der Türe, die das Home Office seiner Mutter von der Wohnung abtrennt.
Ich möchte noch gerne die E-Mail abschliessen, die ich gerade schreibe, dann habe ich viel Zeit für dich.
Du kannst schon mal auf meinen Denksessel sitzen.
Fünf Minuten später dreht sich Larousa mit einem Lächeln im Gesicht vom Bildschirm weg zu Smirno.
Smirno, jetzt bin ich da für dich – und habe alle Zeit für dich.
Larousa, mich beschäftigt seit einiger Zeit etwas. Ich möchte dir noch vor den Weihnachtsferien eine Frage dazu stellen. Und ich möchte gerne Antworten darauf.
Larousa lächelt.
Ich kann mir fast vorstellen, um was es dir geht. Also, ich höre dir gerne zu.
In der Schule haben wir vieles über das Klima gehört. Auch, dass es wegen den Einflüssen des Menschen immer wärmer, ja sogar heisser wird. Dies dürfte dazu führen, dass es auf dieser Erde nicht nur für uns Menschen unwirtlicher wird. Unsere Lehrerin hat gesagt, dass die Menschheit dies schon lange weiss, und doch viel zu wenig dagegen tut.
In deinem Beruf hast du viel mit Energie und Klimaschutz zu tun. Wie kannst du dies aushalten? Auf der einen Seite das Wissen um die möglichen schlimmen Folgen des Klimawandels, vielleicht sogar der Klimakrise – und auf der anderen Seite, dass viel zu wenig für eine Welt ohne Klimakrise getan wird.
Und was empfiehlst du meinen Klassenkolleg*innen und mir, als Wünsche für Weihnachten und als gute Vorsätze für das Neue Jahr, wie wir damit umgehen sollen?
Das Lächeln von Larousa hat sich dauernd verstärkt, während Smirno seine Fragen gestellt hat.
Im Mail, das ich gerade versandt habe, ging es um die genau gleichen Fragen. Du weisst, vor einigen Wochen hat Micha bei mir im Büro zu arbeiten begonnen. Es ist sein erster Job nach dem Studium. Er ist etwa zehn Jahre älter als du. Auch er wollte diese Fragen vor Weihnachten beantwortet haben. Meine Antworten sind also schon etwas entwickelt. Aber auch ich habe noch viele, viele Fragen.
Ich bin sehr gespannt.
Smirno lächelt, ein bisschen angespannt, aber immerhin, es ist ein Lächeln.
Lass mich mit Weihnachten starten. Du kennst die Geschichte aus der Bibel, wo plötzlich die Engelin mitten in der Nacht vom Himmel hoch kam und die Schafhirten erschreckte. Unterstützt von viel blendendem himmlischen Licht wünschte sie den Hirten Friede und Freude, verbunden mit der Botschaft, dass der König des Friedens und der Freude in die Welt gekommen sei.
Ich weiss, für die Verhinderung der Klimakrise ist das eine schlechte Motivation. Denn Friede und Freude sind immer noch nicht wirklich dauerhaft in dieser Welt.
Larousa, einverstanden, so wirklich erfreulich ist dies nicht. Du und ich, wir wissen beide, dass es in dieser Welt viele Menschen gibt, die sich für Frieden und Freude einsetzen. Das ist ja schon mal die erste Botschaft, auch für meine Zukunft: Dran bleiben, egal was passiert, und immer und nochmals Dran bleiben!
Mit einem Lächeln im Gesicht nickt Larousa, den Blick auf Smirno gerichtet. Smirno erwidert den Blick und das Lächeln.
Ich verstärke dies mit einem Wunsch für Weihnachten: dass möglichst viele Menschen Dran bleiben, und das mit viel Beharrlichkeit.
Ich mache hier noch eine Klammer. Vielleicht ist «Klimaschutz» auch das falsche Wort. Wir schützen das Klima, weil wir wollen, dass das Leben für die Menschen angenehmer ist, für dich und mich, für die Menschen hier im Haus und in der Stadt, für die Menschen auf der ganzen Welt.
Menschenschutz und Friede und Freude sind da sehr verwandt. Es geht zwar auch um meinen Schutz, um meinen Frieden, um meine Freude. Was wir wollen, ist für uns alle: Menschenschutz für uns alle, Friede für uns alle, Freude für uns alle.
Smirno und Larousa nicken sich lächelnd zu.
Larousa, da höre ich bereits den nächsten Wunsch: dass wir alle mehr an uns alle denken statt nur immer für mich.
Besser hätte ich es nicht formulieren können.
Damit wir beim Menschenschutz vorankommen, müssen wir uns von vielen Dingen verabschieden, die von vielen genutzt werden und darum als unverzichtbar gelten. Wir müssen es als Gesellschaft schaffen, zum Beispiel Autos, die mehr oder weniger stinken und lärmen, einfach stehen zu lassen. Seit Generationen wird die winterliche Hauswärme an vielen Orten durch das Verbrennen von Öl produziert Dabei wissen wir alle, dass dieses Öl stinkt, zu Abgasen führt, hin und wieder auch zu Ölpesten auf dem Meer, und zudem endlich ist. Gas ist keinen Dreck besser. Die mindestens zwölftausend Dinge, die wahrscheinlich auch wir in unserer Wohnung haben, hinterlassen einen riesigen Fussabdruck auf der Erde. Und selbst wir, die uns seit Jahren vegetarisch ernähren, verursachen dadurch kräftige Spuren auf der Erde.
Darum müssen wir alle uns von mehr oder weniger lieb gewordenen Gewohnheiten und Dingen verabschieden. Und gleichzeitig nach anderen Möglichkeiten suchen für all das, was wir heute wollen. Und manchmal müssen wir auch Nein sagen zu Dingen, die wir alle bis jetzt gemacht haben.
Smirno schüttelt den Kopf.
Darüber haben wir auch schon diskutiert in der Klasse. Das war gerade zu der Zeit, als ein paar Reichste mit grossen Raketen gespielt haben. Da haben einige gesagt: so lange diese Menschen solche Dinge tun, ist es sicher nicht nötig, dass wir Armen und Kleinen etwas für den Klimaschutz tun. Melinda hat dann etwas ganz Spezielles in die Diskussion eingebracht. Die Reichsten tun dies vielleicht bloss, weil sie befürchten, dass wir den Klimaschutz – ich wechsle noch nicht zu Menschenschutz – nicht schaffen. Und da wollen sie sich Fluchtmöglichkeiten aus der Klimakrise ermöglichen. Larousa, was meinst du dazu?
Ich bin noch nicht so sicher, ob die Reichsten sich selbst zu «wir alle» dazu zählen. Was aber gleichzeitig heisst, dass es auch andere gibt, die bei «wir alle» nicht mitgemeint sein wollen. Wir müssen sicher noch etwas an den Formulierungen von «wir alle» arbeiten. Ich würde im Moment eher darauf setzen, dass möglichst viele bei «wir alle» mitgemeint sein wollen, auch dann, wenn die Reichsten und andere nicht mittun.
Larousa, über was freust du dich? Wenn es mit dem Klimaschutz oder meinetwegen Menschenschutz nicht vorangeht, brauchst du vieles, an dem du dich freuen kannst. Dass du das tust, sehe und höre ich an deinem Lächeln und Lachen.
Smirno und Larousa schauen sich an an, bis ihr Lächeln zu einem lauten Gelächter wird.
Nach einiger Zeit werden sie ruhiger, richten ihre Blicke immer noch lächelnd aufeinander.
Smirno, das ist so, ich suche viele kleine Freuden. Wahrscheinlich darum, weil ich weiss, dass meine wichtigen Anliegen Zeit, sehr viel Zeit brauchen. Und so lange kann ich nicht ohne Lächeln, ohne Lachen sein.
Schau mal auf meinen Bildschirm. Jetzt haben wir so lange miteinander geredet und gelacht, dass jetzt der Bildschirmschoner zu sehen ist. Da sind die für mich schönsten Bilder aus den dem letzten halben Jahr zu sehen, verbunden mit vielen bleibenden Erinnerungen. Und du weisst, beim Spazieren, beim Wandern, beim Surfen im Internet verweile ich immer bei kleinen Dingen, und freue mich daran, selbst wenn es sich um einen Flachwitz handelt. Weil ich sie suche, finde ich viele schöne Momente in meinem Leben. Zum Beispiel auch, wenn wir beide uns gestritten haben und nachher doch wieder zusammen lachen können.
Schon bald klingt wieder lautes Gelächter durch den Raum.
Larousa, das wäre somit ein nächster Wunsch: freue dich an den vielen schönen Momenten in deinem Leben. Freue dich auch an den schönen Momenten im Leben von uns allen.
Das können wir so stehen lassen. Wir haben bereits einiges eingepackt. Das gibt eine lange Bescherung an Weihnachten!
Wie wäre es dann noch mit Vorsätzen für das Neue Jahr?
Ich habe bei einigen Mitmenschen den Eindruck, dass Vorsätze dazu da sind, nicht beachtet zu werden. Das gilt manchmal auch für mich. Darum ein Vorsatz für «wir alle»: wir lassen Abfall nicht mehr einfach achtlos fallen. Ab sofort gibt es kein Littering mehr.
Das ist mir jetzt aber ein bisschen zu simpel.
Sicher? Ich nehme Littering als Protest gegen die Wegwerfgesellschaft wahr. Du hast natürlich recht mit deinem Einwand. Denn dieser Vorsatz ist die erste Stufe zum Abschied aus der Wegwerfgesellschaft. Auch das CO2, das wir aus den Kaminen und Auspuffen entweichen lassen, ist letztlich Littering. Wir sehen das einfach nicht – die Folgen spüren erst deine und zukünftige Generationen. Und auch das, was wir ganz höflich in den Kehrichteimer werfen, ist Wegwerfen. Ab sofort kein Littering mehr ist für mich der Beginn der Verabschiedung der Wegwerfgesellschaft. Vielleicht finden wir für das nächste Neue Jahr bereits einen besseren Vorsatz in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Smirno schliesst die Augen, zählt mit den Fingern, schüttelt manchmal den Kopf, hin und wieder lächelt er. Auch Larousa schliesst die Augen.
Larousa, du hast meine Fragen beantwortet, da ist vieles zusammengekommen.
Danke. Ich werde gerade nachher Micha ein zweites Mail senden. Dank dir ist die Antwort deutlich gewachsen. Und jetzt suche ich noch vier Worte als Zusammenfassung.
Wie wäre es mit «Dran bleiben – und Lachen»?
Larousa und Smirno umarmen sich. Und lachen zusammen.