Die Vier-Generationen-Familie sass gemütlich um den grossen Tisch im Wohnzimmer. Gerade wurden Teller und Besteck zusammengesammelt. 

Die Runde hatte entschieden, kurz nach draussen zu gehen. Es war trocken im Garten mit milden Temperaturen. Die grossen Fenster des Hauses und die dezente Weihnachtsbeleuchtung am grossen Tannenbaum an der Ecke zur Strasse ergaben eine sanfte Helligkeit.

Gerade ideal für die Geschenkerunde. Und seit Jahren sang die grosse Familie zur Abrundung immer das gleiche Weihnachtslied. Das klappte auch ohne Begleitmusik. Patricia, die erfahrene Hobbysängerin, gab den Ton an. Auch dieses Jahr gelang das Lied.

Nach Bescherung und Weihnachtslied zog es alle wieder zurück an den grossen Tisch. Es wurden rundum die Geschenke vorgestellt und bewundert. Zu einigen Geschenken gab es von der Schenkerin oder dem Schenker noch eine Geschichte oder eine Erläuterung.

Inigo baute in einer Ecke des Wohnzimmers ein grandioses Dessertbuffet auf. Luca kümmerte sich um Teller, Gabeln und Tassen für Tee oder Kaffee. Auch das Dessert wurde ausgiebig und in aller Gemütlichkeit genossen.

Als es in der Runde etwas ruhiger wird, meldet sich Livia.

Liebe Leute, beginnt sie, und stockt bereits bei den nächsten Worten.
Liebe Leute, Ihr habt von mir kein Geschenk bekommen. Und dies nicht zum ersten Mal. Denn: eigentlich wollte ich Euch dieses Jahr ein schönes selber gemachtes Buch schenken, frisch ab Druckerei. Aber eben, wie die letzten neununddreissig Jahre hat es auch dieses Jahr nicht geklappt mit dem Buch, egal, ob es ein schönes oder ein wichtiges Buch hätte werden sollen.

Nun, dass wir jedes Jahr in deinem Wohnzimmer und in deinem Garten Weihnachten feiern können, ist doch eigentlich bereits ein ausreichendes Geschenk, meinte Enzo.

Das ist aber noch viel mehr ein Geschenk von Samuel – er macht da viel mehr als ich für die Vorbereitung.

Also, vielen Dank auch an Samuel. Aber erklär mir mal, was du genau unter einem schönen und einem wichtigen Buch verstehst, meldet sich Enzo nochmals.

Ein schönes Buch ist eines, das ich auch beim zehnten Mal noch durchblättere, anschaue, lese, weil es eben so schön ist. Und je mehr ich mich darum kümmere, desto höher werden meine Ansprüche.

Wichtige Bücher sind jene, die etwas beitragen können zur Weiterentwicklung der Gesellschaft. Auch da habe ich hohe Anforderungen an die Glaubwürdigkeit und den Tiefgang.

Eigentlich will ich euch ein Buch schenken, welches gleichzeitig schön und wichtig ist.

Gibt es dann Beispiele von schönen und wichtigen Büchern, die du uns zeigen kannst?

Ja, die gibt es, bei mir im Arbeitszimmer, im Büchergestell auf dem schräg gestellten Ausstellungstablar – da könnt ihr gerne nachher ein bisschen reinschauen.

Enzo runzelt die Stirne, macht eine Grimasse. Livia, wenn ich das höre, befürchte ich, dass wir noch jahrelang kein Geschenk von dir erhalten.

Grosses Gelächter der Runde war die Antwort auf diesen Satz, aber auch Stimmen, die Enzo baten, dies nicht so negativ zu sagen. Livia brauche doch sicher noch etwas positiven Anschub.

Ramona, die Jüngste in der Runde, hatte den Austausch mit Interesse verfolgt. Während des Essens hatte sie den Tisch mit Geschichten von den Klimastreiks unterhalten.

Livia, stellt Ramona fest, das ist ja eigentlich genau wie beim Klimaschutz. Seit vierzig Jahren gibt es da grosse Worte, und es passiert wenig bis gar nichts.

Oder vielleicht ist es genau umgekehrt: weil du das wichtige und schöne Buch nicht verschenken kannst, passiert halt beim Klimaschutz viel zu wenig. Um dies zu prüfen, müssen wir dich dabei unterstützen, dass du dieses wichtige und schöne Buch bis zu den nächsten Weihnachten produzieren kannst. Ich helfe gerne dabei, und ich sage dir auch, was an dem, was du schreibst, für mich schön und wichtig ist.

Die Runde ist ganz still geworden. Ramona geht zu Livia, nimmt ihre Hand. Eine Person nach der andern steht vom Tisch auf und schliesst sich Ramona an. Als alle um Livia herumstehen, stimmt Patricia nochmals das Weihnachtslied an. Es tönt deutlich eindrücklicher als draussen im Garten.

Livia strahlt und lacht. Hej, Leute, da habt ihr mir ein riesiges Geschenk gemacht. Damit schaffe ich es sicher, meinen Neujahrsvorsatz einzuhalten!