Eine moderne, nicht alltägliche Weihnachtsgeschichte: Der Weihnachtsvirus

Vorbemerkung: diese Geschichte stammt aus dem Jahr 1988, und war damals im Zürcher Unterländer abgedruckt. Beim Aufräumen der vordigitalen Papierberge habe ich diesen Zeitungsausschnitt gefunden, hier als Erinnerung aufgeführt.

Fred Winkelmann sass in der Kantine. Nach dem Mittagessen las er wie üblich quer durch die Zeitung. «Computervirus im Netzwerk» – diesen Artikel musste er noch lesen, bevor er wieder mit seiner Arbeit fortfuhr. Ein Schüler hatte durch einen Programmfehler einen Virus in ein Computernetzwerk eingeschleust, und in kürzester Zeit standen einige Tausend dieser teuren Rechenknechte still. Gedankenverloren und tief in die Analyse des zu bearbeitenden Problems vertieft, startete Fred kurz darauf seinen Arbeitsplatzrechner. Doch es war nicht wie üblich – irgend etwas stimmte da nicht. Warmstart, nochmals von vorne. Wieder nichts – Winkelmann stutzte kurz, schaute genauer hin. Im oberen linken Bildschirmeck, war das nicht eine stilisierte Weihnachtskerze? Und unten rechts, das sieht doch aus wie ein Tannenzweig, und da, am linken Rand eine ganze Engelschar, darunter ein Stall, eine ganze biblische Szene, Geburt Jesu. Aus dem Lautsprecher tönt irgend ein altes Weihnachtslied, Fred kannte nur die Melodie.

Der Weihnachtsvirus im System, das musste es sein. Winkelmann hatte in den letzten Wochen viel zu tun gehabt, das Projekt sollte noch vor Jahresende abgeschlossen werden, und so hatte er die kommende Weihnachtszeit ein bisschen vergessen. Aber auf die paar Ferientage, da freute er sich.

Ihm fiel auf, dass im Gang vor seinem Büro ein ständiges Gerenne war. Programmierer, Datatypistinnen, Operatoren waren unterwegs, alle ihre Computer schienen Weihnacht zu signalisieren. Einer vermeldete, am Telefon mit einem Geschäftspartner habe er gerade erfahren, dass dieser Virus weit verbreitet sei. Yvonne, die Sekretärin der Abteilungsleiterin, erzählte lachend, eben habe sie den Auskunftsdienst angerufen, aber auch diese Computer seien am Feiern und im Hintergrund habe sie die alte Melodie gehört.

Plötzlich war der Spuk vorbei. Bald darauf waren wieder die gewohnten Bilder zu sehen, die normalen Geräusche zu hören, dort eine piepsende Fehlermeldung, hier ein surrender Lesekopf, alles funktionierte wieder. Die Systemverantwortlichen suchten nach Ursache und Folgen dieser weihnachtlichen Störung. Der Virus hatte keine Daten oder Programme zerstört, hatte keine Spuren hinterlassen. Zur Abwechslung also ein gutmütiger Störefried.

Als Fred Winkelmann beim Abendessen sein weihnachtliches Erlebnis erzählte, meinte Susanne, die Kindergartenschülerin, ganz überzeugt: «Papi, das war sicher das Christkind, welches irgendwo im Wald mit einem Computer gespielt hat. Und es wollte uns daran erinnern, dass bald Weihnacht ist …»

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert