Weihnachtsgeschichten-Automator

Das Seminar in Computerlinguistik III näherte sich seinem Ende – einer der letzten Stundenplaninhalte vor dem Semesterende. Heute ging es darum, die Ergebnisse der Arbeiten der letzten Wochen vorzuführen. Aufgabe war es, einen Weihnachtsgeschichten-Automator zu programmieren und hier die resultierende Weihnachtsgeschichte vorzutragen. Gerade wurde Geschichte Nummer 12 vorgelesen, die zweitletzte im Reigen dieses Vormittags.

Computerlinguistik II behandelte im vorangehenden Semester den Aufbau einer Geschichte. Grundlage waren die Bedeutung von Worten, die sinnvolle Kombination unterschiedlicher Wortarten zu Phrasen, darauf aufbauend zu Sätzen und weiter zu Absätzen. Eine der zentralen Erkenntnisse daraus: von einem wirklichen Verstehen dieser Satzgebilde waren die Computerprogramme weit entfernt, aber mit etwas Unterstützung durch die Programmierung konnten beachtliche Ergebnisse erzielt werden. Die Sätze dieser Automaten waren sogar verständlich, ganz im Gegensatz zu den ersten Versuchen mit Phrasendreschern. Für die Aufgabe „Weihnachtsgeschichten-Automator“ hatten die Studierenden ordnerweise bereits geschriebene Weihnachtsgeschichten digitalisiert und analysiert, sowohl von der Struktur der Geschichten her, aber auch bezüglich Wortwahl und typischer Satzstrukturen. Weihnachtsgeschichten hatte der Professor ausgesucht, weil diese eine lange Tradition haben und eher einfach im Aufbau sind. Diese Geschichten beginnen mit einer alltagsnahen Situation, es ergibt sich eine dramatische, nicht unbedingt zu erwartende Steigerung. Diese Situation führt über in eine Entspannung, in eine Auflösung und zu einem tendenziell romantischen Schluss.

Bis jetzt hatten die Weihnachtsgeschichten-Automatoren der Studierenden ganz ansehnliche Geschichten produziert, man hätte sie nicht von den Beiträgen etwa in den Gratiszeitungen unterscheiden können. Da machte auch Nummer 12, vorgelesen von Automator-Programmiererin und -Bedienerin Britta, keine Ausnahme. Das Ende der Geschichte brachte die Zuhörenden zum Schmunzeln, vielleicht gabs auch einige Tränchen der Rührung, ein kurzer, sanfter Applaus, dann begann sich Rob13 einzurichten und auf das Vorlesen vorzubereiten. Rob13, sein Nickname in den Internet-Blogs, in Twitter, selbst in Facebook, war auch im analogen Leben zu seinem Vornamen geworden. Ihm ging der Ruf voraus, ein Nerd zu sein: Rob13 wurde nachgesagt, mit Computern besser umgehen zu können als mit Menschen. Man munkelte, dass er für das Verstecken von „Ostereiern“ in seinen Programmen mehr Zeit aufwendete als für die eigentliche Aufgabe – und trotzdem nur halb so viel Zeit dafür brauchte wie seine Kolleginnen und Kollegen. P.S. „Ostereier“, versteckte Gags, gibt es nicht nur in Computerprogrammen. Bereits Renaissance-Maler haben sich auf diese Art in ihren Bildern verewigt. In dieser Geschichte allerdings dient dieser Hinweis nur dazu, die Zeit zu überbrücken, bis Rob13 mit dem Vorlesen seiner Weihnachtsgeschichte beginnt.

Schon nach den ersten Sätzen war klar: das ist eine völlig andere Sache als die übrigen zwölf Geschichten. Definitiv zwar auch eine Weihnachtsgeschichte, schlichter zwar als die anderen, dafür aber raffinierter. Im Saal wurde es noch ruhiger, aufmerksam hörten alle zu. Mit nahezu monotoner Stimme trug Rob13 das Werk seines Automators vor. Den aufkommenden Beifall nach dem weihnächtlich angehauchten Happyend dämpfte Rob13 schnell ab.

Ich muss Euch gestehen, ich habe Euch in die Irre geführt: diese Geschichte hat ihre Grundlage zwar in meinem Automator, der ist nicht schlechter oder besser als Eure Automatoren. Was ich Euch vorgelesen habe, ist meine Überarbeitung dieser Geschichte. Ich habe etwa 99 bestehende Geschichten in meinen Automator eingefügt, es hat auch einige Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen mit dabei. Mein Automator hat zwar anständige Geschichten produziert, aber keine hat mir wirklich gefallen. Und ich finde, damit ich eine Geschichte vorlesen kann, muss sie mir selber gefallen. Als ich dann nach einer langen Programmiernacht durch die verschneiten Strassen der Stadt wanderte, habe ich herausgefunden, was mich an diesen Geschichten störte. Nämlich das gleiche wie an vielen Weihnachtsdekorationen: es hat einfach zu viele Elemente drin, und alle schreien Dir entgegen, hey, jetzt ist dann bald Weihnachten. Da gab es Schaufenster mit Lichtorgeln von Kerzen, Weihnachtsmännern, Rentierschlitten, Weihnachtspaketen, und so weiter, in allen Formen und Farben. Die haben mir nicht so gefallen. Da gab es in einer Nebengasse eine ganz schlichte Dekoration: eine Kerzenlaterne, dahinter ein gekonnt drapierter Vorhang. Also habe ich die Automatorgeschichte abgespeckt, hab einiges der überdrehten Weihnachtssymboliken hinausmontiert, stattdessen habe ich dafür eine kleine Nebenhandlung eingebaut. Ich habe mir überlegt, ob es gelingen könnte, dass ich den Automator auch so modifiziere. Das geht vielleicht, aber erst in der übernächsten Version. Für mich ist dies darum nicht die Frage, ob Menschen oder Computer bessere Geschichten erzählen können – es geht nur darum, wieviel Kreativ-, Logik und Strukturfähigkeit die Menschen in Computerprogramme umsetzen können und wollen. Damit es klar ist: für die Bewertung werde ich die originale Automator-Geschichte abgeben!

Noch einmal Applaus, vielleicht sogar noch eine Spur herzlicher – mit seiner Ehrlichkeit hat Rob13 seinen Ruf einiges aufgebessert. Plötzlich stehen einige Kerzen auf den Pulten, Weihnachtsgebäck und Punsch machen die Runde. Nach all den Geschichten ist es spürbar weihnachtlicher geworden.

Die von Rob13 modifizierte Automator-Weihnachtsgeschichte ist nicht mehr vorhanden. Beim Verlassen des Uni-Gebäudes ist Rob13 auf der Schnee- und Eisglätte ausgerutscht. Beim Suchen nach dem Gleichgewicht, heftig mit den Armen rudernd, ist ihm der Datenstick mit der einzigen Version des Textes aus der Hand gerutscht, direkt auf die Strasse vor ein herannahendes Tram. Die verbliebenen Bruchstück verunmöglichten eine Rekonstruktion der Daten.

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