17777

Heute 17777 bei Mireille.

Verwundert öffnet Sebastien dieses Mail. Kein Inhalt, nur die Betreff-Zeile Heute „17777 bei Mireille“, den Absender hat er im Direktionsbüro angetroffen, er ist Assistent der Geschäftsleitung, die Liste der Empfängerinnen und Empfänger des Mails ist verdeckt.

Mireille, das ist die Ressortleiterin, sie sitzt im Büro nebenan, und sie hat ihn nach einem langen Auswahlverfahren für diesen Job ausgewählt. Seit vier Tagen arbeitet er jetzt hier, hat bereits viele interessante Menschen kennengelernt, und auch seine Aufgaben entsprechen dem, was aufgrund dem Stelleninserat zu erwarten war. Im Moment gefällt ihm der neue Job.

Aber „17777“? Was soll das? Eine Zeit kann dies nicht sein. Es ist auch keine interne Telefonnumer, die sind kürzer. Wikipedia hilft auch nicht weiter – um einen Asteroiden mit dieser Nummer kann es ja wohl kaum gehen. Sebastien drückt auf den Antwortknopf und will per Mail nachfragen. Da kommt Susanna, seine neue Bürokollegin, ins Büro gestürmt.

Sorry, ich musste heute noch rasch an eine super dringende Sitzung bei unserer Kreativ-Abteilung, diese lustigen Witzbolde haben – wahrscheinlich über Nacht – eine völlig schräge Aktion ausgeheckt. Und die Sitzungseinladung kam fünf vor sieben per SMS. Management by Handy, hoffentlich wird das nicht zur Gewohnheit. Auch wenn die Aktion super wird!

Am ersten Tag hatte sich Susanna als Lotsin für seinen Arbeitsstart vorgestellt. Nun, diesen Job nahm sie sehr ernst, und das war sehr hilfreich gewesen. Aber noch viel mehr beeindruckte ihn ihr fachliches Können, ihr immenses Wissen. Eine solche Expertin passte bestens zur öffentlichen Wahrnehmung, dass es sich bei diesem Unternehmen um eine Spitzenfirma dieser Branche, wenn nicht gar des gesamten Wirtschaftszweiges handelte. Dass er den Job bekommen hatte, zeigte, dass auch ihm einiges zugetraut wurde. Ein solches Umfeld gefiel ihm.

Frau Lotsin, kannst Du mir weiterhelfen? Ich habe da ein komisches Mail bekommen, nur mit Betreff, und ich kann mit der Botschaft „Heute 17777 bei Mireille“ nicht wirklich etwas anfangen.

Mit einem Grinsen lässt sich Susanna in ihren ergonomischen Sessel plumpsen, und schaltet den Computer ein. 17777, und es trifft heute Mireille? Das gehört auch schon fast zum Management by Handy.

Das gehört auch zu den Geheimnissen dieses Unternehmens – aber ich bringe es jeweils erst zur Sprache, wenn ein solches Mail kommt. Ganz einfach, Mireille wurde vor 17777 Tagen geboren – jetzt kannst Du selber ausrechnen, wie alt sie ist, und wir treffen uns 7 Sekunden nach 18:17 bei ihr – das ist ja schon fast Apéro-Zeit. Ist ganz einfach: 17:77 gibt es nicht, dann kann es nur 18:17 sein. An solchen Dingen siehst Du, wie spielerisch wir hier mit Zahlen umgehen.

Geburtstage sind bei uns kein Thema, das hat damit zu tun, dass der frühere CEO an einem 29. Februar auf die Welt gekommen ist, und er fand, dass nur alle vier Jahre Geburtstag im Büro einfach zu wenig sei, und dann gibt noch die ewigen Sonntagskindern, die haben ja nie im Büro Geburtstag.

Einer der ersten IT-Praktikanten hat deshalb den Auftrag bekommen, ein Tool zu programmieren, welches für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter etwa einmal pro Jahr eine etwas spezielle Zahlenkombination von bereits gelebten Tagen herausfindet. An dem Tag treffen wir uns dann im Büro dieser Person, die Zahlenkombination bestimmt jeweils auch den Zeitpunkt, manchmal ist es ein Frühstückstermin, oder es gibt ein Dessert, oder eben, bei 17777, einen Apéro. Und der Termin wird genau 12 Stunden vorher per Mail mitgeteilt – es werden also nie alle dabei sein können. Wenn es einmal Deine Zahl sein wird, bist Du aber sicher dabei: irgendwer hat irgendwann sicher bereits einen Dir nicht erklärbaren Termin in die Agenda eingetragen – bei so vielen Termin in der Agenda weisst Du gar nicht, was es sein könnte. Und solltest Du bereits abwesend sein an einem solchen Tag, sucht der Computer einfach die nächste spannende Zahl.

Diese zufällige Sache war eine der vielen amüsanten Seiten dieses ehemaligen Chefs. Er war ein sehr optimistischer Mensch, sehr kreativ, absolut unorganisiert. Aber jede Begegnung mit ihm war sehr beeindruckend – ich habe jedes Mal einiges mitgenommen, was mir im Job und auch im Leben geholfen hat.

Ich weiss zwar nicht, ob ich mir älter vorkomme, wenn ich 100 Jahre oder 36525 Tage alt werden sollte.

Susanna und Sebastien konzentrieren sich auf ihre Bildschirme, bald ist nur noch das Klicken der Tastaturen zu hören, hin und wieder ein unterdrücktes Lachen, oder ein kurzer Stossseufzer.

Beim Lesen von Mails, beim Schreiben der Antworten, bei der Durchsicht von Produkten, immer wieder bleiben die Gedanken von Sebastien bei diesen eher zufälligen Tagen hängen. Und er beginnt, sich an seine eigenen, ihm wichtigen Tage zu erinnern. Zum Beispiel jener Tag, an dem seine Schulfreundin mit ihrer Familie nach Hongkong auswanderte. Vielleicht neun war er damals. Und er schmunzelte: das Jahr wusste er zwar nicht mehr, aber an diesen Tag mochte er sich genau erinnern. Dass der Regen von den Herbstblättern an den Bäumen tropfte, dass über dem Flughafen Nebel lag, der den Abflug verzögerte. Oder an jenen Tag, als er nach langem Schuften endlich das begehrte Diplom als Abschluss seiner Ausbildung in Händen hielt. Ein sonniger Tag war das gewesen, und er erinnerte sich an das Restaurant im Park, wo das Mittagessen direkt in den Zvieri und dann das Nachtessen überging, mit kleinen Spaziergängen im Schatten der Baumriesen. Er musste jedes Mal nachrechnen, wie viele Jahre sein Diplom zurücklag – an diesen Tag konnte er sich auch ohne Rechnen erinnern. Der Weg seines Lebens zeigte sich an bemerkenswerten Tagen, mal waren sie fröhlich, mal waren es sehr traurige Ereignisse – das Leben so quasi als Tagebuch! Eigenartig: die Geburtstage kamen in diesem Tagebuch kaum vor.

Susanna, Dein ehemaliger Chef hat da eine gute Idee gehabt mit diesen Zufalls-Erinnerungstagen.

Ja, dieser Meinung sind ziemlich alle hier und freuen sich auf den Tag, an dem der Zufall bei ihnen im Büro landet!

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